Leukämie, du verdammtes…

Leukämie, du bist ein verdammtes Arschloch! Ich hasse hasse hasse dich! Geh weg, verkriech dich, irgendwo, wo du niemandem schaden kannst. Und nimm deine anderen verdammten Freunde gleich mit!
Du hast mir eine Freundin genommen, eine wirklich liebe, lebensfrohe junge Frau. Sie war so tapfer, all die Jahre über, die du sie gequält hast! Nie hat sie aufgegeben, sie hat immer weiter gegen dich gekämpft!
Du verdammtes ************ hast ihr ihre Träume genommen. Du hast ihr Leben versaut! Sie wollte ihr Leben doch noch genießen! Sie hatte noch so viel vor, sie war doch erst 26!
Sie war so eine starke Frau, in allen Lebenslagen. Und so fröhlich, selbst an den dunklen Tagen. Und so herzlich, herzlich und direkt.
Und du Arsch hast das alles zerstört! GEH EINFACH WEG!!!

Kennt ihr das, wenn ein ganz ganz lieber Mensch ganz ganz plötzlich weg ist? Völlig unerwartet, mitten in einem gesundheitlichen Aufschwung hat es sie erwischt. Ganz plötzlich ist sie zusammengebrochen und nicht wieder aufgewacht. Bis ganz zum Schluss hat sie gekämpft, hat sich selbst nie aufgegeben. Und doch hat sie am Ende die Kraft verlassen. 
Sie war Sanitäterin, vor der Krankheit. So habe ich sie auch kennengelernt. Dadurch sind wir auch Freunde gewesen. Sie war so ein guter Mensch…
Ich vermisse dich…

Valentinstag

Nein, ihr werdet hier nichts über den Rettungsdienst lesen. Aber ich muss hier mal etwas loswerden.

Heute ist der Tag an dem man den Menschen, die man liebt, diese Liebe auch zeigt. Der Tag der Pärchen. Oderso…
Ich hasse diesen Tag – naja, so typisch Single eben. Kann damit nicht viel anfangen. Aber heute Morgen kam ich dann doch ins Grübeln über diesen Tag des Konsums… 

Blumen, Pralinen, kitschige Karten, Küsschen und Herzchenaugen überall. Bäh! Also nicht, dass ich jetzt was gegen Verliebte hab, ich hab was gegen diesen Tag. Bauscht unsere Konsumgesellschaft auf, um großen Profit zu machen. BÄH!!

In Wahrheit ist es ein Tag wie jeder andere. So wie Muttertag und Vatertag auch. Oder wasweißichwas… Man sollte den Tag nicht als Erinnerung benutzen. So „Ach, heute muss ich mal wieder allen sagen wie gern ich sie hab.“ Das kann man wirklich an jedem anderen Tag auch.
Valentinstag ist der Tag der Liebe – und Liebe betrifft nicht nur den Partner. Ich zum Beispiel liebe meine Familie und meine Freunde und möchte ihr das auch zeigen und sagen. Ich brauche dazu aber keinen 14. Februar und keine Geschenke. Ich brauche bloß etwas Zeit mit ihnen und ein bisschen reden, lachen, Spaß haben. Zeit mit den Menschen zu verbringen, die man liebt, das ist das richtige Geschenk. Keine Schokolade. Worte. Gefühle. Lachen.

Für mich ist der Valentinstag heuer trotzdem etwas „besonderes“.
Ich bin heute früh nämlich aufgewacht und wusste nicht, ob meine Oma noch lebt. Ich war gestern bei ihr, hab ihr Blumen gebracht (absichtlich nicht am Valentinstag!) – sie hat mich nicht mehr erkannt, konnte nicht mehr sprechen, bekommt kaum mehr Luft… Ich habe ihr gesagt, dass ich sie lieb hab. Ich weiß nicht, ob sie es mitbekommen hat oder nicht.
Seit Wochen schon geht es ihr schlecht, sie war schon kurz vorm Sterben, hat sich wieder etwas erholt und jetzt geht es weiter bergab. Ich hab ihr so selten gesagt wie sehr ich sie lieb hab. Ich habe das alles die letzten Wochen versucht aufzuholen. Es hat nicht gereicht. Es war immer noch zu wenig. Und jetzt befürchte ich plötzlich, dass ich ihr an diesem Valentinstag nicht mehr sagen kann, wie sehr ich sie lieb hab.
Ja, ich hab es ihr gestern gesagt.
Ja , ich habe es ihr die letzten Wochen schon gesagt.
Und ja, plötzlich möchte ich es ihr unbedingt heute noch sagen. Am Valentinstag. Weil es der Tag der Liebe ist.
Das Blöde daran – ich bin in der Arbeit. Morgens war es zu früh – darf noch kein Besuch rein. Aus der Arbeit kann ich nicht weg, für die Mittagspause ist es zu weit entfernt. Und wer weiß, kann ich es ihr am Abend noch sagen.

Liebe Leute – wir vernachlässigen unsere Lieben viel zu sehr.
Sagt nicht nur eurem Partner, dass ihr ihn liebt! Sagt es euren Eltern, euren Großeltern, Kinder und Freunden – sagt es einfach jedem, der euch wichtig ist! Und sagt es ihnen bei jeder Gelegenheit. Irgendwann war es dann nämlich die letzte Gelegenheit und die ungenutzt zu lassen wäre doch etwas traurig.

Wir brauchen keinen erfundenen Tag um Mama im Mai zu sagen, dass wir sie lieben. Papa kommt dann ein Monat später dran. Der Partner schon im Februar. Und der Rest bloß am Geburtstag.
Geht raus und sagt es jedem, dem ihr es sagen wollt, aber wartet nicht auf diesen einen speziellen Tag. Es gibt ihn nicht. Jeder Tag ist gut genug, um jemandem zu sagen und zu zeigen, was Liebe ist. Jeder Tag hat es verdient ein mit Liebe gefüllter Tag zu sein. Jeder Tag könnte die letzte Gelegenheit dazu sein.

Ja ich weiß, dieser Artikel klingt jetzt vielleicht etwas kitschig.
Aber es liegt mir gerade wirklich am Herzen euch das zu sagen. 

Trauer

Warum trauern wir?
Es gibt viele Gründe dafür, am häufigsten kommen wir im Rettungsdienst mit der Trauer um einen verstorbenen Menschen in Berührung. Wenn wir nach Hause gerufen werden, weil der Opa im Bett liegt und sich nicht mehr rührt. Wenn wir den Angehörigen mitteilen müssen, dass es der Opa nicht geschafft hat. Dann sehen wir meist zwei Dinge in ihren Gesichtern: Schmerz und Trauer.

Trauer ist ein Prozess, der sich in verschiedene Phasen einteilen lässt. Hierzu die beiden gängisten Modelle kurz beschrieben (detaillierte Infos unter www.trauerphasen.de)
Nach Verena Kast sind das die vier Phasen:
Nicht-Wahrhaben-Wollen („Es darf nicht wahr sein.“)
aufbrechende Emotionen (Schwankungen zwischen Trauer, Wurt, Angst, …)
Suchen (auf Fotos, in seinem Zimmer, am Lieblingsplatz, …)
neuer Bezug zur Umwelt und sich selbst (= Akzeptanz, Einfügen in eine neue Rolle)
Yorick Spiegel teilt die vier Phasen etwas anders ein:
Schockphase (Verhalten wie in einer Traumwelt)
Kontrollierte Phase (Ablenkung durch verschiedene Aktivitäten um das Gefühl der Leere zu verdrängen)
Regression (Rückzug um mit der Trauer allein zu sein und damit umgehen zu lernen)
Anpassung (Rückkehr in ein normales Leben)

Warum schreibe ich hier jetzt von Trauer?
Nun ja, ich durfte eine faszinierende Seite der Trauer kennenlernen.
Trauer kann nämlich auch vor dem Verlust eines geliebten Menschen bestehen. Wenn man zum Beispiel erklärt bekommt, dass Mutter mit fast 90 Jahren nicht mehr lange zu leben hat, weil sie Krebs hat.

Wir brachten mit dem KTW eine Patientin nach Hause, die Palliativ im Krankenhaus war. Sie wurde auf eigenen Wunsch nach Hause gebracht, sie wollte im Kreise der Familie und vor allem zu Hause sterben.
Palliativ – was ist das? Es gibt in Krankenhäusern eigene Stationen, es gibt eigene Pflegehäuser, Pflegedienste dafür. Für sterbenskranke Menschen, die nur noch bestmöglich gepflegt und betreut werden, bis sie sterben. Die dadurch sozusagen darauf vorbereitet werden.
Ich bewundere alle Palliativpfleger – ihr macht eine wahnsinnig wichtige, schöne, anstrengende, belastende Arbeit. Schön? Ja, ich finde es schön, wenn man die letzten Tage/Wochen einer sterbenden Person noch bestmöglich mitgestalten kann. Man lernt Menschen in ihren ehrlichsten Momenten kennen und darf ihnen die wahren Herzenswünsche noch erfüllen. Aber es ist auch belastend, immerhin weiß man ganz genau, was auf den Menschen zukommt, dem man gerade noch geholfen hat, sich auf das Kommende vorzubereiten.
Ich könnte das nicht mein Leben lang machen.

Was ich aber kann, ist immer mal wieder durch den Rettungsdienst die Palliativstation bei uns unterstützen. Und zwar, indem ich helfe, die Wünsche zu erfüllen.
Ich durfte einmal eine Patientin nach Hause bringen, der nur noch ganz ganz wenig Zeit zu Leben gegeben wurde. Die Dame war ganz klar im Kopf. Fast 90, sehr krank aber eine tapfere kleine Lady. Sie wünschte sich, dass sie zu Hause sterben dürfe. Im Kreis ihrer Familie, ihrer Kinder.

Im Krankenhaus erwarteten uns die Tochter und einer der Söhne. Wir lagerten die Dame nach ihren Wünschen auf unserer Trage – es soll so bequem wie möglich sein. Jetzt gibt es außerdem keinen Stress mehr. Der Oberarzt wollte noch mit uns reden, also mussten wir auch noch kurz warten.
Er erklärte uns, wie es um die Dame stand. Was der Grund für den Heimtransport war. Dass sie bei klarem Verstand sei. Wir wurden darüber aufgeklärt, dass der Dame so wenig Zeit gegeben wird, dass sogar der Tod am Transportweg nach Hause nicht ausgeschlossen werden kann.
Nein, sie starb nicht im KTW. Sie war tapfer, auch ihre Kinder. Der Sohn fuhr bei uns mit, er hielt die ganze Zeit über die Hand seiner Mutter. Sie wirkten so friedlich.

Man merkte allen an, dass sie mit der Sache abgeschlossen hatten. Sie waren darauf vorbereitet. Die prägenden Trauerphasen waren überwunden. Sie wollten nur noch Ruhe. Nach den Phasen von Yorick Spiegel wären sie in der Regression gewesen. Der Rückzug, der Abschluss mir dem Thema, das war in diesem Moment wichtig. Keine Tränen mehr, keine Wut, keine ungläubigen Worte oder Verleugnungen. Jeder wusste, was jetzt kommt.

Ich will ehrlich sein: Ich wünschte der Dame, dass sie nicht zu leiden hat. Dass sie ein paar angenehme Stunden mit ihren Liebsten verbringen darf. Dass es vorbei ist, bevor die Schmerzen wiederkehren. Das waren auch ihre Wünsche, und wir haben es geschafft, dass ein Teil des Wunsches wahr wurde. Sie bedankte sich noch bei uns, auch ihre Kinder. Sie wirkte so entspannt, wie sie da in ihrem Bett lag. So still und heimlich wie möglich machten wir uns aus dem Staub. Hier wollten wir nicht mehr stören.

Etwas später erfuhr ich durch eine Traueranzeige, dass die Dame noch am selben Abend verstorben war, ein paar Stunden nachdem wir sie heimgebracht hatten. Sie hatte es geschafft, ihr letzter Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Es freut mich, dass ich sie unterstützen – also heimbringen – durfte.
Es freut mich, dass sie bis zuletzt nicht allein war.
Es freut mich, dass sie in aller Ruhe gehen konnte.

Wenn sie gehen…

Gestern Abend hatte ich wieder Kurs. War dieses mal ganz spannend, wir sind vertiefend auf die Algorithmen der ERC-Guidelines 2015 eingegangen. Reanimation bei Erwachsenen und Kind, Bradykardie und Tachykardie – alles mal in der Theorie durch, Samstag wird dann praktisch geübt.

Allerdings war ich gestern kurzzeitig gedanklich etwas abwesend.
Während dem Kurs habe ich erfahren, dass ein langjähriger Dauerpatient (Dialyse) von uns verstorben ist.

Ich bin immer sehr gern mit diesem Patienten gefahren, dafür habe ich meinen Dienst auch mal um 5 Uhr morgens begonnen.
Er hat mich sehr an meinen Großvater erinnert. Leider hatte ich durch den Kurs und die Arbeit in letzter Zeit keine Gelegenheit mehr, mit ihm zu fahren.

Gerade eben habe ich noch erfahren, dass er vor kurzem eine Kollegin nicht mehr erkannt hat und daraufhin eine Gehirnblutung bei ihm festgestellt wurde. Das tut mir wirklich sehr leid, ich bin aber ehrlich gesagt froh, dass er nicht allzu lang darunter zu leiden hatte.

Im Rettungsdienst haben wir immer wieder die verschiedensten Patienten. Die meisten sehen wir nur einmal – bei einem Primäreinsatz, wenn sie akut Hilfe brauchen und wir sie versorgen und ins Krankenhaus bringen.
Manche Patienten begleiten uns aber über Jahre. Sie sind schwer krank und müssen immer wieder zu Therapien oder Untersuchungen ins Krankenhaus transportiert werden. Gerade diese Patienten erleben wir meist als die dankbarsten und mit denen haben wir auch Gelegenheit, viel zu reden.

So habe ich auch über diesen Patienten viel erfahren – er hat in seinem langen Leben doch viel erlebt – und immer wieder gab es Geschichten zu erzählen, die ich noch nicht kannte. Wir haben immer viel gelacht auf den Transporten.

Es ist immer traurig, wenn man Patienten sterben sieht oder hört, dass sie verstorben sind.
Doch gerade bei diesen Patienten, die wir doch recht oft sehen, trifft es auch uns tief in unserem Inneren.

Auch den Kollegen, mit denen ich schon darüber gesprochen habe, merkt man ihre Betroffenheit an.
Es wird nun für uns alle die nächsten Dienste irgendwie komisch sein, wenn wir auf die Transportzuteilung warten, und niemand wird zu ihm fahren.

Ruhen Sie in Frieden.

Was man tief in seinem Herzen besitzt,
kann man nicht durch den Tod verlieren.
Johann Wolfgang von Goethe
Im Fall des Verstorbenen war es die Freude am Leben selbst. Das hat man ihm auf jedem einzelnen Transport angemerkt.